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Vermittlungsmethoden
Literatur und Europa
1. Autorenwahl
Dieses Thema hat die Senioren Academie Groningen en Drenthe im Jahre 2008 gewählt. Fünf Senioren, drei Frauen und zwei Männer, haben sich das erste Mal im Herbst dieses Jahres getroffen um über den Inhalt und das Verfahren des EU-Projektes zu diskutieren: welche Bücher möchten wir an andere europäische Senioren und an die jüngere Generation weitergeben? Die Bücher sollten Romane oder Erzählungen aus dem 20. und 21. Jahrhundert sein, geschrieben von niederländischen Autoren.
Nach langer Diskussion entschied man sich für: Ferdinand Bordewijk, Hella Haasse, Willem Frederik Hermans, Harry Mulisch und Tommy Wieringa.
Gestrichen wurden: Bertus Aafjes (zu leicht), Simon Vestdijk (zu altmodisch), Remco Campert (zu leicht), Gerard Reve (hat bestimmt etwas bewirkt, aber wird er noch gelesen?), J.J. Voskuil (seine Bücher sind zu sehr mit seinem wissenschaftlichen Institut verbunden), Cees Nooteboom (der europäische Autor. Man ist jedoch der Meinung, daß er nicht typisch niederländisch ist), Kees van Kooten (zu viel Unterhaltung, zu zeitgebunden), Maarten ’t Hart (gut zum verfilmen) und Annie M.G. Schmidt (bezweifelt wird, ob ihr Humor übersetztbar ist).
Darauf wird folgendes diskutiert:
-Ferdinand Bordewijk oder Louis Couperus? Es wird Bordewijk, weil er mehr als Couperus (ca. 1900) ein Autor des 20. Jahrhunderts ist.
-Tommy Wieringa oder Arnon Grunberg? Es wird Wieringa, weil man der Meinung ist, daß Grunbergs Werk bis jetzt nichts Neues gebracht hat.
Eine junge Studentin Niederländisch hat fast von Anfang an an diesem Projekt mitgearbeitet. Ihre Top 5: Louis Couperus, Hella Haasse, Willem Frederik Hermans, Harry Mulisch und Martinus Nijhoff (Dichter).
Ihre Wahl hat zu heftigen Diskussionen geführt. Die junge Studentin: ”Warum habt Ihr Senioren einen solchen jungen Autor wie Wieringa auf der Liste und nicht einen großen wie Louis Couperus?? Daß ich Couperus gewählt habe, zeigt, daß er wirklich groß ist, sonst hätte ich ihn nicht mehr gelesen!”
Einige Monate später hat man sich dann ausgetauscht über die Bücher dieser Autoren: welches Buch von diesen fünf Autoren möchten wir weitergeben?
Das war eine schwierige Aufgabe. Letztendlich hat man sich entschieden für:
Ferdinand Bordewijk, Charakter
Das Buch beginnt im Kreißsaal eines Rotterdammer Krankenhauses mit der Geburt der Hauptperson Jacob Willem Katadreuffe durch Kaiserschnitt. Er ist der Sohn des Gerichtsvollziehers A.B. Dreverhaven und seines, dann 18 jährigen, Dienstmädchens Jacoba (Joba) Katadreuffe.
Eines Abends überwältigt er sie, das Geschehen grenzt an Vergewaltigung. Sie sieht das allerdings nicht so. Sie will nichts vom Kindsvater wissen und seine Heiratsanträge zerreißt sie.
Auch will sie kein Geld von ihm haben. Sie bittet niemanden um eine Gunst. Sie sorgt gut für ihren (unehelichen) Sohn.
Auch wenn es ihr finanziell sehr schlecht geht, erzieht sie ihn gut und hält ihn von den schlechten Einflüssen des Arbeiterviertels, in dem sie wohnt, fern.
Die Beziehung zwischen Mutter und Sohn ist abweisend und schweigsam, auch als er älter wird
Hella S. Haasse, Oeroeg
Die Erzählung handelt von dem indonesischen Jungen Oeroeg, der vor dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit dem Sohn eines niederländischen Beamten in Niederländisch-Ostindien aufwächst.
W.F. Hermans, Nie wieder schlafen
Alfred Issendof, der Erzähler, die Ich-Figur und Hauptperson dieses Buches muss für seine Doktorarbeit in die Finnmark im äussersten Norden von Norwegen fahren.
Die Erzählung is nicht einfach nur die Geschichte einer Studienreise. Es handelt sich hier um die Lebensreise eines jungen Mannes zum Erwachsenen, der sich selbst entdeckt und Abstand nimmt von der Rolle, die andere für ihn ausgefüllt haben.
Harry Mulisch, Zwei Frauen
Ein kurzgefasster Roman, der aus einigen unnummerierten Teilen besteht. Der grösste Teil handelt von der Beziehung zwischen der Kunsthistorikerin Laura und der Friseuse Sylvia Nithart. Dadurch dass Laura die Geschichte erzählt, lernen wir sie etwas besser kennen. Sylvia bleibt die schweigsame Sphinx. Sie ist jedoch auch hart, kalkulierend, klug und willensstark.
Tommy Wieringa, Joe Speedboat
Joe Speedboat ist ein wirbelnd geschriebener Entwicklungsroman, in dem absurde Dinge geschehen.
Der Roman spielt in Lomark, einem kleinen holländischen Städtchen irgendwo an einem großen holländischen Fluss.
Der Erzähler, Fransje Hermans, blickt auf den ersten Seiten des Romans zurück auf die acht Monate, in denen er im Koma lag. Er ist daraus körperbehindert erwacht.
Der Titelheld Joe Speedboat kommt wie ein Komet in das Städtchen Lomark und wird schon schnell Fransjes Freund.
Zusammen erleben sie manches Abenteuer und in der Liebe gelangen die beiden in ein Dreiecksverhältnis mit JP, einem südafrikanischen Klassenkamerad.
JP ist der einzige der Fransjes Tagebücher lesen darf. Fransje verfasst Tagebücher nach dem Motto:
„Was nicht widerhallt, gibt es nicht“
2. Fragebogen
Kulturvermittlung: wie verläuft das? Wie wird Kultur, insbesondere die Liebe zum Lesen, vermittelt? Das möchten wir wissen.
Wir hatten nicht die Absicht, unseren Fragebogen an Schulen zu schicken, wir wollten interessierte jungen StudentInnen miteinbeziehen in unser Projekt.
Das war aber schwierig. Deswegen haben wir uns an einen Verlag in Amsterdam gewendet. Dort gibt es immer einige junge Leute, die ihr Studium fast beendet haben und vorher noch ein Praktikum in der Bücherwelt machen wollen. Von ihnen weiß man, daß sie gerne lesen!
Ende November 2008 gab es 6 PraktikantInnen, die alle den Fragebogen über die Vermittelung von Kultur ausgefüllt haben, einige von ihnen ausführlich. Ein Jahr später, im November 2009, haben wir den gleichen Fragebogen an die neuen PraktikantInnen geschickt, aber nur zwei haben reagiert. Eine kurze Zusammenfassung der Reaktionen.
1) Haben Ihre Eltern, Großeltern oder DozentInnen Ihnen die Liebe zum Lesen beigebracht?
Ja, sowohl die Eltern (manchmal die Mutter) als die DozentInnen.
2) Haben Ihre Eltern oder Großeltern Ihnen Bücher vermittelt? Wenn ja, welche Bücher?
Ja, die großen niederländischen AutorInnen (3). Ja, aber alles von einem Autor (1). Ja, fast alles, was ich bis jetzt gelesen habe (1). Nein, fast nichts (1). Zwei haben das nicht so empfunden.
3) Diskutieren Sie noch Bücher oder AutorInnen mit Ihren Eltern oder Großeltern?
Ja (4). Ja, mit meiner Mutter (2). Nein (2).
4) Diskutieren Sie Bücher oder AutorInnen mit Altersgenossen?
Ja (7). Nein (1).
5) Welche Bücher von niederländischen AutorInnen, die Sie gelesen haben, sehen Sie gerne in einem europäischen Literaturzentrum?
6) Was halten Sie von der Wahl der Älteren?
Weil die jungen StudentInnen nicht wußten, daß unsere Arbeitsgruppe sich nur beschränkt hatte auf niederländische AutorInnen, nicht aus Flandern, von Romanen/Erzählungen aus dem 20. und 21. Jahrhundert, haben sie auch flämische AutorInnen und niederländische und flämische Dichter genannt. Aber das ist auch gut so, weil beide Kategorien bestimmt zu unserer Literatur gehören!
Mulisch 4 Boon 1 Nescio 1
Claus 3 Brouwers 1 Peper 1
Hermans 3 van Bruggen 1 Raes 1
Brijs 2 Couperus 1 Schmidt 1
Grunberg 2 v/d Heijden 1 Wieringa 1
Haasse 2 van Keulen 1 Zikken 1
Wolkers 2 Lucebert 1
Sie haben dies auch begründet. Bemerkenswert ist, daß die von den Älteren gewählten Mulisch, Hermans und Haasse dabei sind, aber Bordewijk nicht (‘Warum er??’). Man ist der Meinung, daß Wieringa sich noch nicht als großer Autor bewiesen hat. Dann könnte man noch viele andere nennen…….. Und wo sind die flämischen AutorInnen??
7) Haben Sie Lust, sich über Ihre Bücherwahl mit StudentInnen in Wien (Fachbereich Niederländisch) auszutauschen?
Ja, gerne! (2)