Tradition und Volkskultur in der Slowakei.
(Diskussion zum Projekt Grundtvig VECU – Virtuelles europäisches Kulturzentrum)
Aufgabenlöser: PhDr. Nadežda Hrapková, PhD.
Die Bildung an der Universität des dritten Alters bietet neben anderen Studienfächer auch das Studienfach Ethnografie und Folkloristik. Im Interesse der breiten Informationserlangung und der Ansichten der Studenten der U3A und der Aufgabenlöser des Projektes VECU haben wir entschieden, die Aussagen der Seniorenstudenten in Form eines Runden Tisches zu bekommen. Die ausgesuchten Themenbereiche erstreckten sich auf die Volkskultur in der Slowakei, die Notwendigkeit der Traditionerhaltung, den Mechanismus der Vermittlung an die junge Generation, die Ausnutzung der meist effektiven Methoden der Übertragung etc. Aufgrund der erhaltenen Aussagen und anhand der zugänglichen Literaturquellen haben wir die untersuchte Problematik in vier Bereiche aufgeteilt:
1. materielle Kultur
2. Gesellschaftsleben und geistige Kultur
3. Folklore
4. Mundarten (Sprache)
Alle Teilnehmer waren des weiblichen Geschlechts und wir müssen konstatieren, daß aus einer Gruppe von 18 Studenten nur 6 Studenten bereit waren, uns ihre Aussagen zu geben, was 1/3 der Studenten ausmacht.
Unter die materielle Kultur reihen wir die traditionellen Formen der Landwirtschaft, die Volksarchitektur und das Wohnen, die Bekleidungskultur, die bildende Volkskunst und die Traditionsküche. Die Teilnehmer der ungelenkten Diskussion am Runden Tisch haben nur zum Thema der Traditionsküche Stellung genommen.
In das Gesellschaftsleben und in die geistige Kultur haben wir inhaltlich das Familien- und Gesellschaftsleben, die traditionellen Familienbräuche (Geburt, Hochzeit, Begräbnis) und die traditionellen Jahresbräuche (Bräuche der Winter- und der Sommerzeit) eingeordnet. Zu dieser Thematik hat die Diskussion eine nähere Beziehung gezeigt, die Antworten der Respondenten waren umfassender und konkreter. Man konnte sehen, daß die Fragen der geistigen Kultur und des Gesellschaftslebens ihnen wesentlich näher liegen und dass aus diesem Grund die Diskussion über diese Themen wesentlich intensiver war.
Der dritte Bereich beschäftigt sich mit dem Thema Folklore, welche die prosaischen Volkstraditionen (die Volksredner und die Erzählarten), die Volkslieder, die Instrumentalmusik und die Tanztraditionen beinhaltet.
Die Mundarten als sprachliche Ausdrucksmittel des Volkes, unterschiedliche und charakteristische für verschiedene Regionen der Slowakei, sind ein eigenständiger Bereich der Volkskultur.
Die Aussagen der Diskussionsteilnehmer waren verschiedenartig und durch persönliche Lebenserfahrungen beeinflußt
Im Bereich der materiellen Volkskultur haben die Aussagen nur am Rande die Volksarchitektur berührt und sich hauptsächlich zum Thema Traditionsküche geäußert. Wir sprachen über Brottraditionen, über Früchteverwertung, die Verköstigung während der gesellschaftlichen Ereignisse, wie Weinlese, Schlachtfest, Kirchweihe und Hochzeit.
Der Bereich der geistigen Kultur war in unserer Diskussion am umfassendsten.
Die Aussagen der Senioren während der Diskussion bezogen sich auf die folgenden Fragen:
Frage: Ist es notwendig unsere Traditionen zu pflegen und warum?
Ja. Im Rahmen der Familie ist die Weitergabe der Erfahrungen von einer Generation an die andere notwendig. Dadurch, daß wir der EU beigetreten sind, verliert der Mensch seine nationale Identität. Dank der Tradition und der Volkskunst besteht die Möglichkeit die Identität nicht zu verlieren. Die Menschen leben in der Synergie mit der Natur und dank dieser Tatsache haben sie erreicht, natürlich mit der Natur zu leben und aus ihr das Notwendige auszunutzen, z.B.: die Heilverfahren, Gastronomie. Sie bekamen das Gefühl für die Kultur. Das Bewußtsein der Bevölkerung wurde durch das Theaterspielen wachgehalten. Sie haben sich in Vereinen aufgehalten. Heutzutage verwischt dieses und deswegen muß man es pflegen.
Frage: Wo ist die Basis für die Traditionerhaltung?
In erster Reihe ist es die Familie. In der Slowakei gab es starke Familientraditionen, in der Familie herrscht Zusammenhalt. Jetzt sind die Traditionsbrüche merkbar und daher ist es notwendig, z.B. religiöse oder kulturelle Volkstraditionen an die jüngere Generation weiterzugeben. Die Traditionen beleben und kitten die Familie und das Familienleben zusammen. Die Familie ist die Basis, aber auch das gesellschaftliche Leben ist wichtig. Die Traditionen erhalten auch die Fröhlichkeit in der Familie.
Ich habe die Präsentation der Trachten im Dorf erlebt, nicht nur Festtrachten, aber auch Arbeitsbekleidung und Kindertrachten. Hier spielt auch die Bedeutung der Gemeinde-, Städte-, Dörferleitung eine große Rolle und es hängt von der Beziehung und dem Gefühl der Vertreter zum Erhalt der Volkskultur und der Volksweisheit ab. Auf dem Dorf sind die Leute mehr für den Erhalt der Traditionen motiviert als in der Stadt. In der Stadt handelt es sich nur um einen kleinen Teil des Interesses.
In der Slowakei ist es nicht nur die Familie und die Gemeinde, aber auch die Schule. Wir sind in einer anderen Umgebung aufgewachsen als unsere Kinder heute, die Eltern haben für die Kinder nicht mehr so viel Zeit wie es in der Vergangenheit der Fall war. Daher ist es Pflicht der Schule diese Aufgabe zu übernehmen. Heutzutage wird alles, leider, auf der Basis des Kommerzes erledigt.
Eine große Bedeutung wird hier auch der Kirche und den zugehörigen Pfarrämtern zugeschrieben. Die Kinder lernen hier Volkslieder, nicht nur geistliche.
Frage: Wer ist der Traditionsträger?
Durch die Entwicklungsveränderungen der Gesellschaft hat sich das traditionelle Muster des Vaters und der Mutter geändert. In vielen Familien fehlt heutzutage oftmals das Leitbild des Vaters und die Weitergabe der Traditionen hat den Träger gewechselt, also die Funktion wird von der Mutter übernommen. Es ist sehr wichtig, sich den Kinder von klein an zu widmen und die Kinder im Geiste unserer Traditionen zu erziehen. Leider, den Fortschritt können wir nicht stoppen. Die Traditionen kann man auch mittels Bücher, wie z.B. Monografien unserer Senioren, die Menschengeschichten, welche ihre Erlebnisse verarbeiteten, weiterpflegen.
Frage: Welche Kulturtraditionen kennen Sie?
Die Segnung des Brotes oder des Kuchens tradiert bis heute im Liptov (Tatra-Region) und in der Ostslowakei. Anlässlich des Osterfestes wird auch der Kuchen und das Essen im Körbchen gesegnet.
Beim Begräbnis waren es die Klageweiber, die beim Toten sangen. Heutzutage ist es kein üblicher Brauch mehr. Es hing damit zusammen, daß sich die Leute im Dorf besser gekannt haben. Dieser Brauch verschwindet auch deswegen, weil die Toten in der Vergangenheit im Haus aufgebahrt waren, während sie heute ins Mortuarium gebracht werden, wo die Leute nur ihre Andacht verrichten. In der Vergangenheit hat man beim Toten gesungen, heute nur während der Begräbnisfeier.
Die Brautwerbung wird heute beinah ausschliesslich noch auf dem Dorf praktiziert und hier sieht man auch den deutlichen Unterschied zwischen Dorf und Stadt. In der Stadt ist das Leben anders, die Leute leben ohne die Legalisierung ihrer Ehebeziehung. Wenn man auf die Brautwerbung ging, machte man eine Brautfahrt zu den Eltern der Braut. Heute ist es wichtig, aus was für einer Familie die jungen Leute stammen. Früher hat man den Jungvermählten schon vor der Hochzeit Geschenke gebracht, z.B. am Freitag und die Hochzeitsfeier hat bis zu drei Tagen gedauert. Heutzutage bringt man die Geschenke direkt zur Hochzeit. Manche Bräuche wirken manchmal fast gewalttätig, wie z.B. das Tellerzerschlagen und das Scherbenfegen.
Frage: Auf welche Art und Weise sollte man die Traditionsübergabe gewährleisten?
Schon erwähnte Buchpublikationen sollte man präsentieren, Diskussionsabende veranstalten, persönliche Besuche an den Schulen tätigen. Den Sammelband der Arbeiten unserer Senioren, welchen wir den Studenten der Mittelschulen geschenkt haben ist wenigstens ein Versuch der Demonstration der Vermittlung der Kulturinformationen und in bestimmtem Maße erwarten wir, daß es die junge Leute wenigstens teilweise motivieren könnte. Es wird gezeigt, daß Kinder, die zu bestimmten Bräuchen geführt werden, sie auch verlangen, wenn es zu derer Absenz in ihrer Familie und im Leben kommen würde. Ein gutes Beispiel dafür sind z.B. Besuche der Folklorefestivals, das Singen der Volkslieder. Dabei ist es wichtig, alles in gewaltloser Form zu tun. Manchmal hat man bei den Kindern mit den Schlafliedern angefangen.
Wenn die Kinder in eine Musikfamilie geboren werden, finden sie sich autom,atisch da hinein. Damit muß man schon im zarten Alter anfangen. Wenn die Kinder klein sind, haben sie Interesse, im Reifealter schwindet das Interesse, aber im Erwachsenenalter erscheint es wieder.
Eine bedeutende Rolle für die Traditionserhaltung spielen die regionalen Kulturhäuser und die örtlichen Museen. Sie werden aber nicht genügend propagiert und sichtbar gemacht. Es ist notwendig, diese Kulturinstitutionen zu unterstützen und ihren Wert anzuheben. Einen großen Anteil an der Traditionsweitergabe haben die einfachen Menschen im Dorf, welche die Träger der kulturellen Traditionen und Informationen sind.
Frage: Das Leben der Slowaken im Ausland und Traditionen?
Unseren Kindern wird besonders im Ausland bewußt, was für eine schöne Natur und Traditionen wir haben. Gerade im Ausland spüren sie die Absenz der Kulturwerte. Unsere jungen Leuten bleiben sehr stark mit der Slowakei verbunden, auch wenn sie zum Arbeiten ins Ausland fahren.In den meisten Fällen kehren sie in die Slowakei zurück. Die Geimeinschaften der Slowaken im Ausland treffen sich regelmäßig und veranstalten Kulturprogramme, welche aus dem Vorstellung der Traditionen dienen. Das Zusammentreffen der Landsleute im Ausland erinnert sie an die Heimat und an das, was ihnen im Ausland fehlt. Manche von ihnen haben sich Trachten besorgt, die bei verschiedenen Anlässen und Treffen angezogen werden. Die ausländischen Slowaken haben öfters eine schönere Sprache, als wir Slowaken hierzulande. Viele der ausländischen Slowaken besuchen unsere Folklorefestivals direkt in der Slowakei, um unsere Folklore zu erleben. Die Respondenten sind der Ansicht, daß die Ostslowaken am meisten zusammenhalten.
Frage: Was reihen wir in die Traditionen ein?
Bei den schon obenerwähnten thematischen Bereichen ist auch die Volksarchitektur von großer Bedeutung. Leider zerfallen in den Dörfern manche Bauten wie z.B. Getreidekammern. Diese Bauten haben ihre Bedeutung verloren und es gibt niemanden der sie instandhält.
Die verbale Kultur und Literatur ist auch sehr bedeutend. Auch wenn wir den Kindern Publikationen schenken, das Problem liegt darin, daß heutzutage die Kinder nicht mehr lesen, sondern lieber vor dem Computer sitzen.
Es ist wichtig einen größeren Vorrat an Volksliedern zu haben, denn ohne sie haben die Familienfeste nicht mehr die nötige Bedeutung.
Speisung: besonders Ausländer, Touristen interessiert unsere traditionelle Küche.
Weitere Begebenheiten:
Taufe. Während des Zusammentreffens und des Mahles wird auch hier die Sitzordnung, je nach der Stellung in der Familie, und das Menue bestimmt.
Weinlese, Kirchenweihe finden auf dem Dorf und in manchen Stadtteilen am Namenstag des Schutzherren des Weinberges statt, und die Kirchenweihe bei der Kirche in der Stadt und im Dorf.
Fasching, das Aufstellen des Maibaumes für Mädchen tradiert bis heute in verschiedenen Lokalitäten.
Das Erntedankfest tradiert bis heute, aber in veränderter Form. Bis vor kurzem hat man die Feierlichkeiten bei Beendigung der Ernteeinbringung veranstaltet. Heute ist es ein Teil der szenischen Folklore in verschiedenen Folkloreensemblen.
Schlachtfest – in der Vergangenheit hat die Familie ihre Erzeugnisse (sog. Karmina) im Dorf verteilt und haben dadurch den Vorrat an Frischfleisch gesichert, und später haben sie es als Gegengabe wieder in die Familie zurückbekommen. Heute wird diesem Brauch nur noch innerhalb der nächsten Familie gehuldigt. Das Schlachtabendmahl ist auch nicht mehr so üppig wie früher.
Gänsespleißen war ein arbeits-gesellschaftliches Ereignis, wo man alle Klatschgeschichten und Geschichtchen durchgenommen hat.
Landbräuche wie Obsternte und Marmeladekochen hat man auch Liedersammeln genannt, denn aus dem Obst brannte man Destilate und danach haben die Leute gerne gesungen.
Heute entstehen neue Traditionen – Tag des Krautes – Festival des Krautes in Zahorie (Westslowakei), wenn im Herbst der Sauerkraut in die Fässer eingelegt wird.
Die sakrale Kultur: Drei Könige und die Wunschbringer. Die Weihnachtsliedertradition wir bei den Kindern in der Stadt beliebter, denn sie ziehen von Haus zu Haus und singen Weihnachtslieder, wofür sie dann Geld bekommen, welches für charitative Zwecke genutzt wird. Außerdem wird der Zusammenhalt unter den Kinder in den Plattenbauten, die sich kennen, gepflegt.
Die Vorschläge der Senioren:
Das Lehrfach Ethnokulturelle Traditionen in der Slowakei in die Lehrpläne aller Mittelschulen einplanen, nicht nur in die Auswahlklassen, wie es heutzutage der Fall ist.
Die Methodik und die Studienmaterialien auf spielerische Art verarbeiten und so in das Bewußtsein der folgenden Generationen einbringen.
Die Respondenten haben vorgeschlagen, den Sammelband „Die Besinnungen und Erinnerungen der Senioren“ ins Internet zu stellen, damit die Leute die Möglichkeit haben, ihn zu lesen, sich damit zu motivieren und die regionalen Kulturtraditionen zu pflegen und weiterzuentwickeln für die nächsten Generationen.